Sie ist jung, wunderschön, dynamisch, ausbalanciert, anziehend in der Erscheinung und: gefährlich! Ihr Körper hat eine harmonische Form, ihr Farbenspiel verzaubert, die Details sind bewusst für ihren Zweck gewählt. Ihr Charakter ist energisch, schnell und entscheidend.
«Braida», ein europäisches Anderthalbhandschwert mit wurmbunter Damastklinge, geschmiedet in der Waffenschmiede Zürcher in Huttwil, hat im Mai 2021 zusammen mit ihrem «Schwertträger» Alex Gueffroy aus Rüedisbach einen Weltrekord aufgestellt. Die Disziplin: «Die meisten Schnitte durch eine Tatami Omote-Matte aus Igusa-Gras in einer Minute mit einem einhändig geführten Schwert erzielen». Der bisherige Rekord stand bei 25 Schnitten in 60 Sekunden, Alex Gueffroy legte mit seiner Braida die Latte auf sagenhafte 71 Schnitte. Nun hat «Official World Records» den Weltrekord bestätigt.
Der Schwertkampf-Trainer Alex Gueffroy aus dem bernischen Rüedisbach hat einen neuen Weltrekord aufgestellt: mit einer Damastklinge, geschmiedet in Huttwil.
Dynamische Klinge
Wie kommt man nur auf die Idee, einen solchen Weltrekord aufzustellen? «Ich fand heraus, dass es im Mattenschneiden (Tatami Omote) mindestens sechs Weltrekorde in verschiedenen Disziplinen gibt. Das reizte mich, einen solchen Rekord zu brechen. Es ist das Grösste für mich, mit einem Schwert zu schneiden, es zu führen und die Klinge in Dynamik zu versetzen» sagt Alex Gueffroy. Der 33-Jährige weiss, wovon er spricht. Seit zehn Jahren betreibt er in Burgdorf seine eigene Schwertkampfkunstschule «Kagetana». «Man kann von einer Kunstform sprechen, da es schwierig ist, mit einem scharfen Schwert in aktiver Bewegung korrekt umzugehen. Es gilt, etliche Fehlerquellen zu erkennen, die den Schwertträger oder seine Klinge gefährden könnten. Dies setzt jahrelanges Training und Übung voraus», erläutert Alex Gueffroy. «Wichtig ist mir, dass jeder Schwertträger seine Stärken ausbaut und seine Schwächen zu schützen beziehungsweise auszugleichen weiss».
Eine Wurmbunte soll es sein
Die Entstehungsgeschichte des Schwerts Braida lief unabhängig von Alex Gueffroys Idee, sich dem Weltrekord zu stellen. Reto Zürcher betreibt seit 17 Jahren seine Schmiede in Huttwil. «40 Prozent Hufbeschlag, 10 Prozent regionale Arbeiten und 50 Prozent Blankwaffen schmieden, so setzt sich mein Arbeitsfeld zusammen» beschreibt der 44-Jährige seine Tätigkeit. Als Blankwaffe gelten alle schneidenden Kriegsgerätschaften wie Messer, Beile, Hellebarden und eben Schwerter. «Irgendwann hat man dann das Bedürfnis, sich sein eigenes Schwert zu schmieden.» sagt Reto Zürcher. Eine Wurmbunte sollte es sein, geschmiedet aus unterschiedlichsten Sorten Damaszener Stahl. Wurmbunt ist die europäische traditionelle Art, aufwendige und schon fast magische Klingen zu schmieden. Die angewandte Technik besteht darin, Damastvierkantstäbe partiell zu verdrehen. Die Mustersteuerung führt zu einem einzigartigen Erscheinungsbild. Die Kelten taten dies bereits 300 vor Christus, einen grossen Auftrieb gab es dann im Frühmittelalter bis Ende der Wikingerzeit, ca. 450-1000 nach Christus.
Jedem Schwert seinen Namen
Die eigenen Schwertklingen des gelernten Schmied-Hufschmiedes besitzen rätoromanische Frauennamen. Dies ist nichts Ungewöhnliches. Es ist eine alte Tradition, seinem Schwert einen Namen zu geben, denn jede geschmiedete Klinge hat auch ihren eigenen, einzigartigen Charakter. Bekanntestes europäisches Beispiel ist wahrscheinlich Exkalibur aus der Artus-Saga. Braida sollte als schlichtes Schwert geschmiedet werden, zum Arbeiten, zum Schneiden gedacht. Eine solche Klinge besteht aus einer harten, schnitthaltigen Schneide und einem weichen, zähen Kern. Wer denkt, das Schwert sei in einem kurzen Arbeitseinsatz entstanden, täuscht sich. In Braida stecken rund 70 Arbeitsstunden. Als Detail ist ihr Name mit Kupferbuchstaben in die Klinge eintauschiert, eine traditionelle Einlegetechnik. Auf der Gegenseite ziert eine Schlange aus Meteoritenstahl die Klinge. «Ich finde es sehr passend und edel, das Himmelseisen und den Stahl aus der Erde in einer Klinge zu vereinen», schwärmt der Schmied.
Mit Braida sollte es gehen
Fertig geschmiedet, wartete das Schwert auf seine Testphase. Das ist immer etwas schwierig bei Schwertklingen. «Ein Messer kann man schmieden und beispielsweise einem Koch in die Hand drücken. Nach einem Monat im Gebrauch bekommt man eine Rückmeldung, ob das Messer etwas taugt oder nicht», sagt Reto Zürcher. Doch für welchen Zweck braucht jemand heutzutage ein Schwert, um dessen Funktionstauglichkeit zu prüfen? Zwei Monate nach der Fertigstellung von Braida ging Alex Geoffrey auf Reto Zürcher zu. Er erzählte ihm, dass er einen Weltrekord knacken möchte, und zwar gerne mit einer Klinge aus der Huttwiler Waffenschmiede. Reto Zürcher drückte ihm Braida in die Hand und sagte: «Mit dieser sollte es gehen». Die Trainings- und Vorbereitungszeit dauerte neun Monate. Genau diese Zeit verschaffte Reto Zürcher den gewünschten Referenzwert, wenn man ein Schwert wirklich einsetzt. Nach 300 Schnitten durch die 10 Zentimeter dicke Reisstrohmatte zog der Schmied die Klinge das erste Mal frisch ab, er war sehr zufrieden. Mittlerweile hat Braida über 600 Schnitte bewältigt, inklusive dem Weltrekord, bei dem die Schnittfrequenz unter einer Sekunde pro Schnitt lag. Das ist eine enorme Beanspruchung. Europäische Schwertklingen schwingen nach dem Schnitt eine kurze Zeit nach, bevor sie sich wieder stabilisieren. «Mit diesem enormen Tempo kommt die Klinge kaum zur Ruhe, und man kann von einer Stressbelastung sprechen», erklärt der Schmied.
Ein Rolls-Royce in Schwertform
Dies war neuartig an diesem Weltrekord: «Alle andere Rekorde wurden mit japanischen Klingen erzielt, was auch Sinn macht, da es sehr gute, für den Schnitt geeignete, gebogene Schwerter sind. Unser Rekord wurde mit einer geraden, europäischen Klinge getoppt, made in Switzerland, Emmental» erklärt Reto Zürcher stolz. Braida ist nicht ein rein traditionelles Produkt. Moderne Spitzenstahlsorten und ein neues Design sind mit einem traditionellen Klingenaufbau und einer gehörigen Portion handwerklichem Ehrgeiz vereint – ein Rolls-Royce in Schwertform, sozusagen.
Um den Rekordversuch korrekt durchführen zu können, suchten der Schwertträger und der Waffenschmied zwei Richter vom Fach. Mit Joachim Bürkle und Urs Jäger fanden sie die idealen Fachmänner, um das Endresultat des Weltrekordversuchs zu bestimmen und gutzuheissen. Die beiden Experten trainieren seit Jahrzenten Iaido, eine japanische Schwertkampfkunst, die auch das Mattenschneiden beinhaltet.
Der Weltrekord gelingt
Nebst der Wahl des Materials, das geschnitten wird, gibt es vier ausschlaggebende Komponenten beim Mattenschneiden: der Schnittwinkel, das ausgeführte Schneiden – das heisst, die Kontrolle über das Schwert, während der Widerstand durchtrennt wird –, die Schnelligkeit des Schnittes und die Beschaffenheit der Klinge. Stimmt eine dieser Voraussetzungen nicht, besteht die Gefahr, dass der Schnitt scheitert und das Ziel nicht ganz oder an der falschen Stelle durchgeschnitten wird. «Diese Schnitte gelten als fehlerhaft und dürfen nicht gezählt werden» sagt Joachim Bürkle.
Der Tag der Entscheidung ist da. Es ist 16 Uhr. Ein Pfiff aus der Trillerpfeife und es geht los. Der Weltrekord-Herausforderer lässt Braida fliegen. Alex Geoffrey und sein Schwert vollführen gemeinsam ihr Werk. Die ersten 65 Schnitte führt der Schwertträger perfekt und fehlerfrei aus. Nach einem Fehlschritt und einer gewissen Ermüdung verlor Alex Geoffrey kurzzeitig seinen Rhythmus, was zu ein paar Fehlschnitten führt. Doch der Weltrekord gelingt. Von den vorgegebenen 25 auf 71 Schnitte zu steigern, ist fast eine Verdreifachung des Ergebnisses. «Ich bin sehr zufrieden mit dem Resultat, auch wenn mich die Fehlschnitte natürlich etwas wurmen. Aber so bleibt immerhin noch Luft nach oben» schmunzelt der neue Weltrekordhalter.
Dieser Rekord ist ein schönes Statement zum neu erlangten Bewusstsein der Schwertkultur in Europa. Überall gibt es wieder Schwertschmiede und Vereine, die den Umgang mit deren Produkten üben und ausführen. «Unsere europäische Schwertkultur war sehr ausgeprägt mit etlichen Hochleistungen in Klingenform. Im Gegensatz zu Japan wurden die langen Klingen vom Gewehr fast komplett vergessen, bis sie jetzt wieder ein Comeback erleben dürfen» erklärt Reto Zürcher. Alex Gueffroy und Reto Zürcher freuen sich, mit ihrer gemeinsamen, nicht alltäglichen Leidenschaft eine Marke gesetzt zu haben. Sie sind gespannt auf einen neuen Herausforderer und freuen sich schon jetzt, sich diesem zu stellen.
Ein herzliches Dankeschön geht an die Sponsoren – der Fachverband Farriertec Suisse beteiligte sich als Hauptsponsor – und die Helfer sowie an die Filmcrew, die diese schöne Erinnerung in einem Videofilm festgehalten hat.